Wenn der ‘Sprit’ ausgeht: Warum Handys kein Entwicklungshilfemotor sind

In Artes geopolitischem Magazin „Mit offenen Karten“ war am vergangenen Samstagnachmittag die Sendung „Das Handy – Ein Motor der Entwicklung?“ zu sehen. Vor allem, da dieses Thema eher selten Massenmedial aufgegriffen wird, freut sich natürlich jemand wie ich, der im weitesten Sinne zu “Handys in Entwicklungsländern” selbst forscht, wenn es hierzu hin und wieder gute Berichte oder Dokumentationen zu sehen gibt. Wenn sie denn gut sind.

Gut ist ein Bericht für mich dann, wenn er über das Aneinanderreihen von Fakten hinausgeht, Sachverhalte differenziert darstellt, (vermeintliche) Gegebenheiten hinterfragt und vor allem nicht in populäre Hörner bläst. Als ich den Titel zu obiger Doku las, beschlich mich jedoch bereits eine leise Ahnung, was mich da beim Ansehen wohl erwarten würde. Jene Vorahnung stellte sich im Anschluss and die 12-minütige Sendung als zutreffend heraus: Wenn Handys in direkten Kausalzusammenhang mit “Entwicklung”[ref] Der Begriff der “Entwicklung” wird hier in Anführungszeichen verwendet, womit auf  dessen vermeintliche Vieldeutigkeitsfreiheit verwiesen sei. Nicht nur, aber vor allem, im Zusammenhang mit so genannten Entwicklungsnationen verweist der Begriff zumeist auf ökonomische Dimensionen. Wenngleich wirtschaftliche Aspekte natürlich ein möglicher Teilbereich von “Entwicklung” sind, so scheint es doch stark verkürzt, den Begriff vornehmlich so auszubuchstabieren. Es scheint gerade so, als ob ein gesteigertes Pro-Kopf-Einkommen die einzig denkbare Form von “Fortschritt” sei – gleich der nächste Begriff, der in Anführungszeichen stehen muss: Wer und nach welchem Maßstäben entscheidet denn eigentlich, was erstrebenswerter Fortschritt ist? Wiederum im Kontext von Entwicklung(snationen) sei hiermit auf die hegemonialen Strukturen von Nord-Süd-Relationen verwiesen. [/ref] gebracht werden und dabei zudem noch die Bildsprache eines “Motors” verwendet wird, so muss die Diagnose lauten: ein klarer Fall von Technikdeterminismus. Wenngleich diese Sicht der Dinge, “Technologie als Heilsbringer”, wie in einer nahezu beliebigen Einführung zur Techniksoziologie[ref]Das Gegenstück zum Technikdeterminismus ist der Sozialkonstruktivismus der, stark vereinfachend dargestellt, davon ausgeht, dass es das “Soziale” ist, welches Technologien formt. Der Technikdeterminismus dagegen geht, wiederum vereinfachend dargestellt, mehr oder weniger stark davon aus, dass Technologien das “Soziale” formen. Zudem gibt es eine Reihe von Ansätzen, die entweder versuchen, Wechselwirkungen zwischen “Technik” und “Sozialem” zu berücksichtigen oder die die “Nicht-Menschlichkeit” von Technik dahingehend negieren, als dass Technologien als mehr oder minder gleichberechtigte, handlungsmächtige Akteure in der Welt gezeichnet werden.[/ref] oder Entwicklungskommunikation[ref] In der Entwicklungskommunikation (oder engl.: “Development Communication”) wenden sich vor allem modernisierungskritische Strömungen gegen stimulus-response-artige Ideen, nach denen sozialer Wandel vor allem angeschoben werden kann (und muss), indem “innovative Ideen” von außen an ein (als unterentwickelt aufgefasstes bzw. konstruiertes) soziales System herangetragen werden. Dem entgegen stehen partizipative Ansätze und solche Ansätze, die Entwicklungsassistenz  eher grundlegend in Frage stellen. Siehe dazu in einer Übersicht auch das Kapitel 3 meines Buches Mobilfunk und Modernisierung in Ostafrika.[/ref] nachzulesen ist, allerlei Kontexte vernachlässigend und stark verkürzend argumentiert, so finden sich derartige Vorstellungen doch leider in Teilen noch immer in unterschiedlichsten Formaten (oder gar Disziplinen wie ICT4D oder M4D).

Doch zunächst zu den positiven Aspekten des obigen Arte-Beitrags: Schön an dem Beitrag ist, dass zunächst ein guter Überblick darüber gegeben wird, wie “Entwicklungsnationen” in den vergangenen Jahrzehnten in der Mobilfunkdiffusion zu den Ländern des globalen Nordens aufgeschlossen haben. Viel zu häufig höre ich leider noch immer, wenn ich auf meine Forschungsarbeiten zu Handys im Alltag urbaner Kenianer angesprochen werde, völlig ungläubige “Was, die haben schon Handys”? Hilfreich ist zudem die Unterscheidung in Handy-Gerätebesitzer, Anschlussinhaber und zudem jene Menschen, die Zugang zu einem Handy haben. Denn: je nachdem, welche Definitionsgrundlage herangezogen wird, können doch sehr unterschiedliche Vorstellungen von “Handyverbreitung” aufkommen. Vor allem in der Betrachtung von subsaharischen Nationen spielt dieser Aspekt eine bedeutende Rolle: Hier ist es durchaus üblich, eine SIM-Karte in der Hosentasche herumzutragen und dann Geräte von Freunden und Familie zu borgen, um diverse mobile Dienste zu nutzen. Je nachdem, was die konkrete Fragestellung einer Studie wäre, über- oder unterschätzte man die Lage so doch schnell gewaltig.

Ab dieser Stelle beginnt dann allerdings das, was ich als den eher unheilvollen Teil des Arte-Beitrags empfinde – unheilvoll nicht, weil die Darstellungen falsch wären, sondern, wie unten noch zu sehen sein wird, weil sie verkürzt sind. So ist beispielsweise zu sehen und hören, dass bei zehn Prozent mehr Mobiltelefonverbreitung das Wirtschaftswachstum eines Landes um bis zu 0.8 Prozent höher ausfällt. Dieser “Zusammenhang von Ursache und Wirkung” (Zitat aus dem arte-Bericht) wird dann an einigen Beispielen erläutert: So kann man mit Handys Getreide-Marktpreise in Echtzeit abrufen und zu höheren, da marktgerechten, Preisen verkaufen. Zudem schließen mobile Banking-Lösungen Menschen, die vormals kein Bankkonto besaßen (und das betrifft – oder: betraf – in subsaharischen Nationen durchaus viele Menschen), an Services wie Versicherungen, Mikrokredite und Bezahlsysteme an. Daneben wird auf Applikationen verwiesen, die bei schwangeren Frauen Mortalitätsraten senken. Es wird auf Dienste für mobiles Lernen abgehoben, mit denen man mangelnde Bildungsinfrastruktur in den Griff bekomme.

Nun soll hier keinesfalls gesagt sein, dass Handys und Mobilfunktechnologie, neben vielen Nachteilen (!),  nicht ihr Gutes bringen würden oder in unterschiedlichsten Kontexten sinnvoll eingesetzt würden und vor allem auch werden. Und das oft aus den entsprechenden Gesellschaftsmitten heraus mit kreativen und individuellen Lösungsansätzen. All zu schnell kann sich ohne oben geforderte Differenzierung jedoch der Eindruck einstellen, dass Handys (oder andere Technologien) vorhandene Situationen verbessern, Probleme lösen oder Gesellschaften voranbringen können. Überspitzt formuliert: “Lasst uns eine Flugzeugladung voller Handys über Nation xy abwerfen und ein paar Mobilfunkmasten aufstellen, dann geht es dort schon bergauf!” Und genau hier beginnt das Problem.

Um noch einen Augenblick beim konkreten Beispiel zu bleiben: Selbstredend ist es nicht verkehrt, schwangeren Frauen in ländlichen Gegenden Afrikas Informationen zukommen zu lassen, wenn diese nachweislich dabei helfen, Kinder- und Frauensterblichkeitsraten zu senken. Doch muss auch klar sein, dass eben diese Sterblichkeitsraten kaum die Auswüchse eines reinen “Informationsproblems” sind (sprich: “Die wissen’s halt nicht besser”), sondern kulturelle Bedingungen, Armut, Infrastrukturen, Genderfaktoren und vieles mehr eine oft bedeutet gewichtigere Rolle spielen. Ähnliches gilt für mobiles Lernen: Schwierigkeiten wie zu wenige Lehrer, mangelhafte Lesen- und/oder Schreibkompetenzen in der Grundbildung oder Kinder, die nicht in die Schule gehen können, weil sie zu Hause mitarbeiten müssen, lassen sich nicht einfach per App oder mit einem Handy eliminieren. Und damit vom Konkreten zum Allgemeinen.

Fragenkomplexe, die nach Antworten und Lösungen zu so umstrittenen Begriffen wir Armut, Unterentwicklung und deren Synonyme suchen, sind meist systemischer Natur. Das heisst, es sind die Kontexte und deren vielschichtige Verflechtungen, die für die eigentlichen Probleme sorgen. Und genau diese sind mit einem einfachen “technischen Fix” nicht mal eben so zu kitten. Zu unterstützen vielleicht. Aber nicht zu kitten. Vor allem nicht nachhaltig. Genau das suggerieren Berichte wie jener von Arte jedoch unter Umständen: Eine Technologie, am rechten Ort oder zur rechten Zeit eingesetzt, löst das Problem. Der Wahrheit bedeutend näher kommt allerdings: Viele Schwierigkeiten sind strukturell bedingt; das heisst sind sind menschengemacht, historisch gewachsen oder haben mit Machtasymmetrien zu tun.[ref]Hierzu empfehle ich den sehr kurzen, aber doch recht erhellenden, Artikel 4 Things you probably know about poverty that Bill and Melinda Gates don’t: to fix global poverty, you first need to acknowledge where it comes from.[/ref] Technologie kann unterstützen, solche Probleme zu bewältigen – lösen kann sie diese aber selten.

Anmerkungen:

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